Die Kulthörner

Die Kulthörner sind, ebenso wie die Doppelaxt, ein Symbol von großer Bedeutung im Kult des minoischen und mykenischen Kreta.
Die Bezeichnung ‚Horns of Consecration‘ stammt von Evans, der sich wie auch Nilsson intensiv mit dem Charakter der Kulthörner auseinandergesetzt hat.
Ihre Interpretation als schematische Repräsentation des Bukranions geht auf Evans zurück und ist bis heute ebenso weit verbreitet wie umstritten. In der minoischen Welt des Mittel- und Spätminoikums traten Kulthörner häufig und in den verschiedensten Größen auf.

Wie aus der Darlegung der Fundkontexte hervorgegangen ist, können Kulthörner einerseits im kultischen Kontext als Teil von Schreinen oder Altären auftreten, andererseits als Architekturelement an Gebäudefassaden. Die Bezeichnung ‚Horns of Consecration‘ stammt von Evans und impliziert das, was manche Darstellungen und Fundkontexte der Kulthörner vermuten lassen könnten: dass sie, zumindest in diesen Fällen, weder Kultobjekt per se waren, noch der Platz, an dem Opfer dargebracht wurden, sondern vielmehr ein Ort, an dem Kultobjekte geweiht wurden. Problematisch an dieser Deutung ist allerdings nicht nur die große Zahl an Exemplaren, die für diese Funktion – aufgrund rein praktischer Überlegungen – nicht in Frage kommen; auch der Schluss, etwas wäre zwingend als ein Ort der Weihe von Gegenständen zu verstehen, nur weil sich solche dort aufgestellt finden, ist alles andere als zwingend.

Anhand der zahlreichen Architekturdarstellungen mit Kulthörnern auf Siegeln oder Keramik in Verbindung mit Adoranten kann darauf geschlossen werden, dass die Kulthörner grundsätzlich ein Indikator für den sakralen Charakter eines Gebäudes sind.

Der Ägyptologe Newberry schlug als erster vor, dass es sich bei dem Symbol der Kulthörner um ein Derivat der ägyptischen Hieroglyphe für „Berg“  handeln könnte. Dabei
sollten die beiden seitlichen Erhebungen die zwei Hauptberge Kretas repräsentieren, Dicte
und Ida. Er schreibt das ganze Symbol einer männlichen Gottheit zu. Der Kern dieser
Interpretation, d. h. die Identifikation der ‚Hörner‘ als Berge, wird von W. Gaerte übernommen, er spinnt den Gedanken allerdings noch weiter. Er bringt die Kulthörner mit der ägyptischen Hieroglyphe für „Land, Wüste, Fremdland“  in Verbindung, die gleich zeitig das Symbol des ägyptischen Erdgottes darstellt, und postuliert damit die erweiterte
Bedeutung „Land, Erde“ für die Kulthörner. In der Frage der drei Erhebungen der betreffenden Hieroglyphe verweist er auf Exemplare von Kulthörnern, die einen kleinen Fortsatz in der Mitte aufweisen . Es scheint mir allerdings fraglich zu sein, ob es sich dabei wirklich um einen integralen Bestandteil der Kulthörner handelt; zum einen, weil er bei den meisten Exemplaren fehlt, zum anderen wegen seines rein praktisch anmutenden Zwecks des Tragens von Objekten wie der Doppelaxt. Darüber hinaus ist er auch im Fall von Dekor, der die Konturen der Kulthörner nachzeichnet, ausgespart. Von diesem Interpretationsansatz ausgehend schlägt Gaerte vor, dass es sich bei den Kulthörnern um das Kultsymbol „der in Kreta zu jener Zeit verehrten großen Erdgöttin, einer der kleinasiatischen Magna Mater und der griechischen Rhea verwandten Gestalt“ handele. Diese Vermutung sieht er in der häufig auftretenden Kombination der Kulthörner mit vegetabilen Elementen bestätigt: „Durch diese Beigabe soll, wie mir scheint, die Hauptmachtsphäre der unter jenem Kultsymbol verehrten Gottheit zum Ausdruck gebracht werden; die Förderung des Gedeihens in der Natur kann aber nur im Bereiche der Erdgöttin liegen.“ Wenngleich Gaertes Erklärungsmodell nicht gänzlich überzeugend scheint, muss eingeräumt werden, dass manche Darstellungen von Kulthörnern tatsächlich formal eher der ägyptischen Hieroglyphen für „Berg“, und damit auch jener für „Horizont“ ähneln, denn an Tierhörner zu erinnern.
Quelle: Diplomarbeit von Linda Bäumel, “„SYMBOLE UND EMBLEME
IM MINOISCHEN KRETA UND IHRE PARALLELEN
IM VORDEREN ORIENT UND ÄGYPTEN. Doppelaxt, Kulthörner und Baummotive.

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Einen anderen Ansatz zur Interpretation bietet:
Emilia Banou
“Minoan ‘Horns Of Consecration’  Revisited: A  Symbol  OF Sun Worship In
Palatial and Post-Palatial Crete”?
Mediterranean Archaeology and Archaeometry, Vol. 8, No. 1, pp. 27-47, 2008
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