Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, ob die Minoer an einen Gott und eine Göttin in verschiedenen Manifestationen glaubten, oder an eine Vielzahl von Gottheiten. Der Zyklus der Pflanzenwelt spielt jedenfalls eine wichtige Rolle in ihrer Religion. Zentrale Figuren ihres Glaubens sind die Göttin und der Gott, die sich wahrscheinlich während einer “Heiligen Hochzeit” vereinigten, um den Fortbestand des Lebens zu sichern. Der Junge Gott (Zeus Velchanos) stirbt, ebenso wie die Pflanzen, jedes Jahr und wird wiedergeboren. Am häufigsten wird die Göttin abgebildet, wobei sie in verschiedenen Figuren als Baumgöttin, Schlangengöttin, Tauben- und Mohngöttin, Göttin des Meeres auf ihrem Schiff, Göttin der Berggipfel, Herrin der Tiere und Muttergöttin erscheint. Der Junge Gott hat die Gestalt eines Bezwingers wilder Tiere oder eines Kriegers. Viele dieser Eigenschaften finden sich wieder bei den Göttern des griechischen Pantheon, so wie bei Zeus, der auch in der kretischen Mythologie jedes Jahr stirbt und wiedergeboren wird. Wohl sind die Namen der griechischen Götter auf den Linear-B-Tafen vom Knossos der Nachpalastzeit belegt (Bsp: Po -ti -nia = Potnia Theron). Manchmal überlebte sie sogar bis in die griechische Zeit, wo sie neue Göttergestalten im griechischen Pantheon schuf, so wie die Göttin B (V)ritomartis oder Dictina (Diktyna) , die in Wirklichkeit eine Abwandlung der minoischen Erdmutter ist.
Die minoische Religion stellte ihre Gottheiten nicht innerhalb eines Tempels (als Wohnhäuser der Gottheiten wie es etwa in der griechischen Religion der Fall war) als Orte der dauernden Präsenz dar, sondern als Epiphanie, d.h. das Erscheinen der Gottheit im Rahmen von Tänzen, Prozessionen, und im theatralischen Geschehen.
Eines der zentralen Erlebnisse in der minoischen Religion war das der Fruchtbarkeit des Landes, der Tiere und der Menschen.
Die Göttin musste nicht immer dargestellt werden. In anikonischer Form stehen z.B. Säulen oder Baetylen oder tierische Repräsentanten wie Greifen, Affen, Tauben, Schlangen für die Anwesenheit der Göttin.
Die Götter und Göttinnen stehen in direkter Beziehung zum König und zur Königin. Der Gott wurde mit der Sonne und die Göttin mit dem Mond in Verbindung gebracht. Gewisse Tiere, wie der Stier, die Wildziege und die Schlange hatten für die Minoer eine religiöse Bedeutung. Die Schlange galt als heiliges Tier und Beschützerin des Heimes. Die Stierhörner und Doppeläxte sind religiöse Symbole, die überall im Palast vorkommen. Die Doppelaxt hat ihre besondere Bedeutung, weil sie bei den Stieropfern zu Ehren der Gottheit Verwendung fand. Andere heilige Symbole sind der Knoten, das Zeichen acht -Symbol der Unendlichkeit, das Kreuz im Rad und der heilige Baum.
Besondere Orte der Anbetung waren im minoischen Kreta Höhlen, Bergspitzen, kleine Hausaltäre und bestimmte Flügel im Palastbereich.
Zu den religiösen Zeremonien gehörten meist Darbietungen von Opfergaben wie Getreide, Figürchen, Nachbildungen von Tieren, Doppeläxte, Waffen und Töpferwaren. Solche Gaben waren in mehreren Höhlen Kretas ans Tageslicht gekommen. Die Höhlen von Trapeza und Psychro auf der Lassithi-Hochebene sind Beispiele minoischer Anbetungsstätten. Später überliefert die griechische Mythologie, daß die Muttergöttin Rhea den Jungen Gott, der bei den Griechen Zeus hieß, in der Höhle von Psychro (Dicteon Andron) versteckt gehalten habe. Ganz offensichtlich wurde hier ein späterer Gott mit einer minoischen Stätte der Verehrung und Religion in Verbindung gesetzt. Andere Höhlen von religiöser Bedeutung in minoischer Zeit sind die Kamares-Höhle auf der Südseite des Psiloritis, und die Scotino- und Eilithia-Höhle bei Iraklion und Spileo Ideon Andron, Oropedio Nida.
Die Gipfelheiligtümer befanden sich auf Berg- oder Hügelspitzen und waren terrassenförmig angelegt, um den Gläubigen genügend Platz zu bieten. Große, von weither sichtbare Feuer wurden entzündet, und die Gläubigen warfen verschiedene Gegenstände ins Feuer. Solche Gipfelheiligtümer sind auf dem Berg Karfi (Lassithi- Hochebene), in Petsofas bei Palaikastro in Ostkreta und auf dem Youkta bei Iraklion entdeckt worden.
In den Palästen wurden bestimmte Bereiche für religiöse Feierlichkeiten benutzt. Die dreiteiligen Schreine bestanden aus drei kleinen Räumen, der mittlere etwas erhöht im Vergleich mit zu den seitlichen. Außerhalb des Schreines gab es einen Platz für Opferungen. Dunkle Krypten für rituelle Zwecke existierten in fast allen minoischen Siedlungen. Rechteckige, steinerne Altäre, wie man einen noch heute in Festos sehen kann, dienten in den Palästen für Opferungen und Verbrennungen von Opfergaben.
Für religiöse Riten hatten die Minoer darüberhinaus noch bestimmte Geräte wie Opfertische, Gefäße mit zwei oder drei Unterteilungen – man nannte sie Kernos – für die Segnung von Getreide und anderen Feldfrüchten, sowie sogenannte Rhytons, bestimmte Vasen in verschiedenen Formen mit zwei Löchern für das Ausgießen von Trankopfern.
Bei Veranstaltungen im Freien nahmen immer viele Gläubige teil, und die Priester mußten durch eine Tritonschale sprechen, um sich Gehör zu verschaffen. Auch Tänze, Stierkämpfe und sportliche Ereignisse gehörten zu solchen Feiern. Eine Reihe von Tonfigürchen im Museum von Iraklion stellt die Tänzer dar. Ein Tonfigürchen aus dem Kamilari-Grab zeigt einen Rundtanz, wo sich die Tänzer an den Schultern fassen, genauso wie noch heute.
Ein wichtiges Ritual stellte der “Stiersprung” dar: Die Stierkämpfe hatten für den Stier keinen tödlichen Ausgang, aber für den Stierkämpfer waren sie höchst gefährlich. Der Athlet packte nämlich den Stier an den Hörnern und vollführte Sprünge über seinem Nacken. Eine ganze Reihe von Fresken und Skulpturen zeigen solche Kämpfe. Sonstige sportliche Veranstaltungen bei religiösen Feiern waren Boxen, Ringen und Springen.